Warum Geld nichts über deinen Wert aussagt.

Es gibt eine kollektive Annahme, die wir von klein auf lernen. Eine Annahme, die den Lauf unseres Lebens tiefgreifend beeinflusst. Oftmals zu unserem Nachteil. Diese innere Überzeugung steuert unsere Entscheidungen, prägt unsere Handlungen und bestimmt, wie wir uns tief drinnen hinter der Maske fühlen. Sie führt nicht selten zu Schmerz und Krisen. Wir alle kennen sie.

Ein Irrtum mit Folgen

Vor etwa 8 Jahren hätte ich diese Annahme blind unterschrieben, während ich mich zum wiederholten Male durch den Konfigurator von Porsche klickte. Ich saß im kleinen Zimmer meiner Studenten-WG in Heidelberg und überlegte, wie sich wohl Erfolg im Leben zeigen würde. Bücher wie “Rich Dad Poor Dad” oder “Das Robbins Power Prinzip” hatten mich tief geprägt und in meiner Sichtweise bestätigt. Wer was anderes behauptete, schien einfach keine Ahnung vom Leben zu haben, so glaubte ich.

Ein 911er sollte es also irgendwann sein. Als Cabrio. Dann endlich würde ich spüren, dass ich gewonnen habe. Dass ich jemand geworden bin, der über alle Unsicherheiten und Zweifel erhaben ist. Dann endlich würde ich mich gut genug fühlen, während ich die kurvigen Küstenstraßen der Côte d’Azure entlangjage und meinen Lifestyle auf Instagram teile.

Das ist kein Witz. So habe ich vor etwa einem Jahrzehnt wirklich gedacht. Geplagt von chronischem inneren Mangel und starken Selbstzweifeln war ich ein leichtes Ziel für ein System, das Leistung, Reichtum und Geld als das Maß aller Dinge sieht.

Ich trieb mich zu Höchstleistungen an, um mich zu beweisen. Die Vorstellung, dass Geld = Wert ist, hatte sich tief in meinem Unterbewusstsein verankert.

Ich rannte im berühmten Hamsterrad. In einem irren Tempo.

Was ich damals nicht wusste

Heute klingt das wie ein fernes Echo aus einem früheren Leben. Während ich in meinem 13 Jahre alten Fiesta darüber nachdenke, erscheint mir das alles absurd. Wie konnte ich auf die Idee kommen, dass mich Geld oder Besitz zu einem wertvolleren Menschen machen würde? Woher kam die Vorstellung, ohne es nichts Wert zu sein? Und warum geht es so vielen Menschen ähnlich?

Das sind Fragen, die nicht in einem Satz zu beantworten sind. Aber es lassen sich immer wieder die gleichen Muster beobachten.

Was ich damals nicht gemerkt habe: Ich wollte keinen Porsche. Ich wollte gesehen werden. Bewundert. Geschätzt. Ich wollte spüren, dass ich endlich genug bin. Dass ich in der Gesellschaft einen Wert habe. Denn den musste ich mir ja scheinbar erst verdienen.

Einige Jahre später fand ich den Mut, die Unsicherheit und den Schmerz dahinter wirklich zu fühlen. Das war lebensverändernd. Denn dadurch wurde mir klar, dass mein Wert als Mensch bereits seit meiner Geburt vollständig ist. Und dennoch hatte ich ihn an äußere Errungenschaften gekoppelt. An Dinge, die man jederzeit verlieren kann - und die deshalb niemals in der Lage sind, echte Sicherheit zu vermitteln.

Ein System aus Mangel

Dabei ging es mir wie vielen. Fast alle in meinem Umfeld knüpften ihren Wert an Leistung oder Kontostand. Wie sollten wir auch auf andere Ideen kommen? Alles um uns herum suggeriert uns von klein auf:

“Du bist erst gut genug, wenn du reich und schön bist. Wenn du etwas erreicht hast. Wenn du jemand geworden bist.”

Schule, Werbung, Arbeit, Social Media - alles füttert den inneren Mangel. Geld wird als Maßstab für Wert gesehen. Denn es ist sicht- und messbar. Es hilft uns dabei, Menschen in einfache Kategorien einzuteilen. “Arm”, “Reich”, “Erfolgreich”, “Gescheitert”. Das macht die Welt für uns übersichtlicher und gibt uns ein Gefühl von scheinbarer Sicherheit. Kein Wunder also, dass wir schon unseren Kindern beibringen, dass sie nach einer Karriere streben sollen, die sie nicht etwa innerlich erfüllt, sondern ihnen möglichst viel Geld einbringt.

Denn dann sind sie wertvoll, dann sind sie sicher. Oder?

Das Hamsterrad

Nicht ganz, denn wir übersehen dabei eine wichtige Sache: Die Jagd nach äußerem Wert ist häufig Ausdruck des Gefühls, nicht gut genug zu sein. Wir rennen Geld hinterher, um den inneren Mangel zu stillen, den das System überhaupt erst in uns erzeugt hat. Und so drehen wir uns im Kreis - getrieben von dem Gefühl, falsch zu sein und gleichzeitig unfähig, innezuhalten.

Das ist es, was das “Hamsterrad” eigentlich meint. Es ist kein äußerer Zustand, sondern ein chronischer innerer Mangel. Ein permanentes Getriebensein, das uns glauben lässt, wir müssten unseren Wert erst beweisen, bevor wir existieren dürfen. Da wir diesen Mangel aber nie im Außen stillen können, entsteht ein endloser Kreislauf aus Leistung und Stress. Das Hamsterrad.

Ich erinnere mich noch, wie schwer es mir damals fiel, das zu sehen. Wer bin ich, wenn ich nichts leiste? Wer, wenn ich nichts besitze? Diese Fragen war für mich damals kaum auszuhalten.

Und dennoch zogen sie mich magisch an.

Unser Wert jenseits von Geld

Denn je näher ich diese Frage an mich heran ließ, desto mehr wurde mir klar: Nichts, aber auch garnichts, was es auf dieser Welt zu erreichen gibt, kann je das innere Loch stopfen und den chronischen Mangel beseitigen. Das muss ich schon selbst tun. Durch innere Arbeit. Durch das Anschauen meines Schmerzes, den ich so lange verdrängt hatte. Durch das Fühlen der Angst davor nicht gut genug zu sein und der Sehnsucht danach, wirklich anerkannt zu werden.

Erst als ich aufhörte, meinen Wert beweisen zu wollen, begann ich ihn wirklich zu spüren. Nicht als Gedanke, sondern als tiefe, stille Gewissheit. Als Ruhe in mir, die keiner äußeren Bestätigung mehr bedurfte. Ich verstand: Mein Wert liegt nicht in dem, was ich tue oder besitze - sondern darin, dass ich hier bin. Dass ich empfinde, lebe, liebe, falle, wachse. Dass ich Mensch bin.

Und vielleicht ist genau das die eigentliche Freiheit: Nicht mehr getrieben zu sein von der Angst, nicht zu genügen - sondern still zu werden und zu erkennen, dass alles, wonach wir suchen, längst da ist.

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Was die Manosphere mit kollektivem Schmerz zu tun hat.