Aufrecht scheitern - Ein Plädoyer für den Misserfolg

Ein Porzellanteller zerbricht auf hartem Betonboden in viele Teile.

“Best life - I just fucked it up, will try it next time.“ So beginnt die erste Zeile meines aktuellen Lieblingssongs. „I just fucked it up, you say it’s alright“, geht es weiter. Ich liebe diesen Track. Nicht nur, weil die Melodie unter die Haut geht, sondern weil der Text etwas Wesentliches verkörpert: Es gibt kein Scheitern - zumindest nicht so, wie unsere Gesellschaft es definiert: Als Schwäche, als persönliches Versagen, als Stigma, das an uns haften bleibt.

Vielmehr vermittelt der Song: Scheitern ist so viel mehr als das. Es bringt Tiefe und Verbindung in unser Leben.

Egal, was uns passiert und wie oft wir etwas “vergeigen” – wir leben immer unser „best life“ - das beste Leben, im besten Sinne. Ich möchte für das Thema deshalb eine Lanze brechen und mit den Vorurteilen aufräumen. Denn so schmerzhaft Misserfolg auch sein kann, er birgt eine wunderschöne und einzigartige Qualität: Er lässt uns wachsen und öffnet Türen zu tiefen Entwicklungsprozessen.

Hinfallen, Aufstehen, Weitermachen

Erinnerst du dich noch an den Moment, an dem du etwas zum ersten Mal aus eigener Kraft geschafft hast? Das erste Mal Laufen ohne hinzufallen? Das erste Mal Fahrrad fahren ohne Stützräder? Das erste Mal einen Satz fehlerfrei in einem Buch lesen? Und erinnerst du dich noch an die Momente davor? An die vielen Misserfolge? Das Hinfallen, das Aufstehen, das Weitermachen? An die blutigen Knie, die aufgeschürften Handflächen? An den Frust? Und an den unbändigen Drang danach, es dennoch endlich schaffen zu wollen?

Ich bin mir sicher du erinnerst dich. Ich tue es auch. Denn wir teilen diese Lernprozesse miteinander. Jeder von uns durchläuft sie. Sie sind ein inhärenter Bestandteil des Lebens. Als Kind ist es normal, immer wieder hinzufallen und es erneut zu probieren. Niemand wertet das negativ. Er wird sogar erwartet. Wenn wir Kinder sehen, die stolpern, helfen wir ihnen auf und ermutigen sie, es erneut zu versuchen. Das ist ein völlig intuitiver Prozess. Wir freuen uns mit ihnen, wenn sie es zum ersten Mal schaffen, einen Schritt vor den anderen zu setzen, egal wie oft sie davor gefallen sind.

Warum also ist es anders, wenn wir erwachsen sind?

Wenn Scheitern zu Scham wird

Irgendwann auf unserem Weg durchs Leben passiert es dann wohl - die Stimmen der Gesellschaft übernehmen. Unsere kindliche Freude am Scheitern geht verloren und weicht einem Gefühl von Scham, wenn etwas nicht sofort funktioniert. Je älter wir werden, desto mehr wird uns beigebracht, dass Fehler mit Schwäche gleichzusetzen sind. Dass Scheitern etwas schlechtes sei, dass es um jeden Preis zu vermeiden gelte. Man lehrt uns, bei Misserfolgen Schuld zu empfinden und dann “auf Nummer sicher” zu gehen - heißt, es nicht noch einmal zu versuchen.

Das ist kein bewusster Prozess. Niemand will uns aktiv damit schaden. Denn es geht dabei nicht um Bosheit, sondern um die kollektive Angst vor tiefem Schmerz - vor Ablehnung, Bloßstellung, Kontrollverlust. Eine Angst, die wir oft unbewusst weitergeben. Eine Angst, die uns vor den Tücken des Lebens schützen soll. So verständlich dieser Mechanismus auch ist, so sehr hemmt er unsere innere Entwicklung.

Denn das Scheitern ist nicht weniger als die Basis allen Wachstums.

Trial and Error

Wenn mich jemand fragt, wie mein Leben läuft, sage ich manchmal: “Gut. Ich lebe nach dem Prinzip Trial and Error.

Ich blicke dann häufig in fragende Gesichter und fahre fort: “Ich probiere gerade aus, was für mich funktioniert und was nicht.” Zugegeben - die Reaktionen sind gemischt. Von begeisterter Zustimmung bis hin zu fragender Ablehnung war schon alles dabei. Völlig verständlich, der Ansatz ist erst einmal kontraintuitiv. Denn das “richtige” Leben, so wie es uns gelehrt wird, folgt einem linearen Ansatz:

Geburt, Kindheit, Schule, Ausbildung, Studium, Beruf, Beziehung, Hochzeit, Haus, Kinder, Karriere, Rente, Alter, Tod.

Bei diesem Ansatz ist kein Platz für Experimente vorgesehen, der Weg ist klar umrissen. Alles scheint planbar und läuft in festen Bahnen. Es ist ein Leben, das uns Sicherheit verspricht. Alles, was wir tun müssen ist, uns früh eine vorgegebene Fahrspur auszusuchen und sie bis ans Ende unseres Lebens zu halten. Dann gelten wir als “vernünftig”. Sich für ein lineares Leben zu entscheiden ist absolut legitim. Es kann gut funktionieren.

Aber was, wenn nichts davon für uns gemacht ist? Was, wenn uns das alles einengt? Was, wenn wir unsere eigene Fahrspur kreieren wollen? Nun, dann kommen wir schnell zu etwas, das sich Pioniergeist nennt. Oder Unternehmertum. Oder Fortschrittsdenken. Oder Risikofreude. Dann landen wir bei Trial and Error. Dann begegnen wir dem Leben selbst. Dort wartet die Ungewissheit auf uns. Dort gibt es keine Kontrolle mehr, keine Garantie. Hier ist Scheitern integraler Bestandteil des Weges. Hier begegnen wir wilder und ungezähmter Lebendigkeit.

Es ist, wie als wollten wir ein Schiff durch rauhe See steuern. Der Wind peitscht, der Regen prasselt auf das Deck und die Wellen türmen sich bedrohlich auf. Die dunklen Wolken sehen angsteinflößend aus. Aber unser Kahn ist solide gebaut. Wir haben kraftvolle Maschinen, präzise Bordinstrumente und einen exakten Kompass. Wir können darauf vertrauen, dass das genug sein wird. Dass wir heil durch den Sturm kommen. Dass uns das Schiff tägt. Bis wir schließlich ankommen. Manchmal nicht da, wo wir ursprünglich hin wollten, aber stattdessen vielleicht an einem Ort, der viel besser zu uns passt.

Aufrecht scheitern

Vielleicht ist es dir bereits aufgefallen: Das Schiff ist eine Metapher für das Leben selbst. Ein Sinnbild dafür, dass wir von ihm getragen werden, auch während es ungemütlich wird. Die Motoren, Bordinstrumente und der Kompass stehen für unsere inneren Ressourcen - unsere mentale Resilienz, den Verstand, die Intuition. Wir tragen alles, was wir brauchen bereits in uns. Wir sind gemacht für das Scheitern. Warum also nehmen wir ihm nicht seinen negativen Beigeschmack?

Lass uns gemeinsam eine neue Erzählung über Fehlschläge kreieren - als Plädoyer für den Misserfolg. Denn er ist die Basis von allem, was sich im Leben wirklich zu erreichen lohnt. Lass uns das Scheitern fortan in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen. Als Notwendigkeit für unser Weiterkommen, nicht als Fehler, den wir verstecken müssen.

Lass uns beim nächsten Versuch scheitern wollen - aufrecht und mit ganzem Herzen. Denn genau an diesem Punkt beginnt das lebendige, das wilde, unzähmbare, echte Leben. Dann können wir aus voller Überzeugung sagen:

“Best life - I just fucked it up, will try it next time.”

Zum Schluss habe ich noch ein Anliegen - wenn du dich gerade in einer Phase des Umbruchs befindest und das Gefühl hast, gescheitert zu sein, dann bin ich für dich da. Ich begleite Menschen in Lebensphasen, in denen nichts mehr „nach Plan“ läuft. Wenn neue Orientierung und Halt nötig wird. Wenn du dir in dieser Phase jemanden an deiner Seite wünschst, schau dir doch mal meine Begleitung an. Ich freue mich auf dich!

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